Es ist schlimmer ...
Es ist schlimmer, einen geliebten Menschen
an das Leben zu verlieren
als an den Tod.
Das Leben ist der
gefährliche Räuber,
nicht der Tod.
Er tastet die Liebe nicht an.
Er bewahrt und erweitert sie
zu einer neuen Dimension.
Christine
Busta, Mai 1986
Quelle: Christine Busta, Der Himmel im Kastanienbaum, Gedichte, 1989, Otto
Müller Verlag Salzburg
Am Rande
Manchmal
auf einer Schwelle sitzen,
ausruhn vom Gehn, das nicht ankommt,
die Türe hinter dir und nicht klopfen.
Alle
Geräusche wahrnehmen
und keines verursachen.
Das Leben, das dich nicht annimmt, erhören:
im Haus, auf der Straße,
das Herz der Maus und des Motors,
die Stimmen von Luft und Wasser,
die Schritte des Menschen, der Sterne,
das Seufzen von Erde und Stein.
Manchmal
setzt sich das Licht zu dir
und manchmal der Schatten,
treue Geschwister.
Staub will nisten auf dir
und unbetretbarer Schnee.
Langsam unter der Zunge
wärmt sich dein letztes Wort.
Die Wand
Du warst die Wand,
an die ich mich lehnte,
und die Wand, an der ich mich stieß.
Dann begannst du zurückzuweichen.
Jetzt bist du unerreichbar geworden.
Aber ich weiß, zuletzt
wirst du die Wand sein, die auf mich zukommt,
und ich werde durch dich hindurchgehn,
ohne dass wir einander verletzen.
Vom Altern
Der Liebe wird alles
wichtig und lieb:
eine Schattenmulde in der Wange,
das Runzelgeflecht ums Auge,
eine Kindheitsnarbe unter den
Zehen,
ein verborgener Makel der Haut,
eine sichtbarer werdende Ader
und die kahle Stelle im Haar.
Jeder Verlust wird
auch Gewinn
und mehrt die Erinnerung.
Treuer als Lust macht Zärtlichkeit,
der Schmerz um Vergängliches erneuert.
Aus den Filtern behutsamer Trauer
bergen wir die Schönheit, die bleibt.
Einsilbig
ist die Sprache der Nacht
In Enge
und Not bin ich aufgewachsen,
aber ich hatte genug zum Staunen,
eh man mir das Kritteln beibrachte;
ich zehr davon heut noch fürs Überleben.
Um die Schlafjahre, die ich mir abstehlen musste
zum Bücherlesen, zum Lernen und Schreiben,
bin ich früher gealtert als andre
und jünger geblieben mit grauem Haar.
Auch ich hab mich gegen das Unrecht empört -
und viel zu viel selber angerichtet.
Als ich das einzusehen begann,
hätt ich beinahe das Lachen verlernt,
gäb es nicht immer noch Kinder und Katzen.
Ich hab mit Gewinn und Verlust geliebt
und immer nur sehr genau kalkuliert,
ob es für Obdach und Brot noch langte.
(Zum Betteln hat´s mir an Demut gefehlt.)
Manchmal wär ich gern tüchtig gewesen,
um es den Freunden zu erleichtern,
auf mich auch ein bisschen stolz zu sein,
leider ist daraus nichts geworden.
Einige blieben mir trotzdem treu.
Alles in allem habe ich dankbar
gelebt, auch wenn es mich so erschöpft hat,
dass ich oft schon aufgeben wollte.
Einiges habe ich ausgekostet
bis zur bitteren Neige der Schuld.
Aber sie hat mich wach gehalten -
auch für die Augenblicke der Gnade.
Manchmal, wenn ich auf blinder Haut noch
das tägliche Licht als Ereignis spüre,
bin ich wieder der erste Mensch.
Aus "Einsilbig ist die Sprache der Nacht",
Otto Müller-Verlag Salzburg, 2000
„Wo holt sich
die Erde die himmlischen Kleider?“
Wo holt sich
die Erde die himmlischen Kleider?
Beim Wettermacher, beim Wolkenschneider.
Sie braucht keine eitlen Samte und Seiden,
sie nimmt, was er hat, und trägt froh und bescheiden
das Regenschwere, das Flockenleichte,
das Schattenscheckige, Sonngebleichte,
das Mondgewobne und Sternbestickte,
das Windzerrissene, Laubgeflickte,
das Gockelrote, das Igelgraue,
das Ährengelbe, das Pflaumenblaue,
das Gräserkühle, das Nesselheiße,
das Hasenbraune, das Schwanenweiße -
und schlendert die Jahre hinauf und hinunter:
je schlichter, je lieber, je schöner; je bunter.
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Stille Anweisung
Ruh dich aus,
Mir brauchst du das Gras nicht zu schneiden.
Lass es mitsamt dem unbändigen Unkraut
weiterwachsen auf meinem Hügel.
Horch lieber, ob dir nicht unter der Erde
eine schon dicht vergrünte Stimme
immer noch sagt:" Ich wachse dir zu..." |
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