Ich ging im Walde so vor mich hin

Ich ging im Walde
So vor mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
Ein Blümlein stehn,
Wie Sterne blinkend,
Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen,
Da sagt' es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

Mit allen Wurzeln
Hob ich es aus,
Und trugs zum Garten
Am hübschen Haus.

Ich pflanzt es wieder
Am kühlen Ort;
Nun zweigt und blüht es
Mir immer fort.

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

und hier eine moderne Version:

 

Das alte Lied

Ich ging im Walde
so für mich hin,
und nichts zu suchen,
das war mein Sinn.
Jedoch ­ o weh! ­ das, was ich fand,
ist meiner Klage Gegenstand:
ich fand im dunklen Waldrevier
Konservenbüchsen und Papier,
Papier, Papier und überall
vom Rost zerfressenes Metall,
zermalmt, verschmiert, verbeult, verdreht,
doch nicht vom Wind hierher geweht,
vielmehr von denen unentwegt

verstreut, verschüttet, hingelegt
und fortgeschmissen, taub und blind,
die sozusagen Menschen sind,
weil Säue (heisst es allgemein)
es nicht gewesen können sein
Hier traf ich haufenweise Schmutz ­
trotz Heimat- und Gewässerschutz
Den Dreck trifft man im Schweizerland
an manchem Wald- und Wiesenrand
und, wenn nicht dort, bestimmt seit je
in jedem einst so saubern See,
der, algengrün und ­ rot vor Scham
sich deshalb längst das Leben nahm

und, wie das Lied hier expliziert,
nur noch als Leiche existiert ....
Ich ging im Holz so für mich hin,
und goethisch-heiter war mein Sinn,
jedoch ­ o weh! ­ er war's nicht mehr
nach all dem Unrat ringsumher

Fridolin Tschudi (1912-1966)

 

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