Wald- und Naturgedichte

O, daß der Mensch die innere Musik der Natur verstände
und einen Sinn für äußere Harmonie hätte.
Aber er weiß es ja kaum, dass wir zusammen gehören
und keines ohne das andere bestehen kann.
(Novalis)

Der scheidende Sommer
 
Das gelbe Laub erzittert,
Es fallen die Blätter herab;
Ach, alles, was hold und lieblich,
Verwelkt und sinkt ins Grab.
 
Die Gipfel des Waldes umflimmert
Ein schmerzlicher Sonnenschein;
Das mögen die letzten Küsse
Des scheidenden Sommers sein.
 
Mir ist, als müsst ich weinen
Aus tiefstem Herzensgrund;
Dies Bild erinnert mich wieder
An unsre Abschiedsstund'.
 
Ich musste von dir scheiden,
Und wusste, du stürbest bald;
Ich war der scheidende Sommer,
Du warst der kranke Wald.
 
Heinrich Heine

Nur eine Stunde im grünen Wald (Auguste Kurs) Der Wald ist ein besonderes Wesen (Buddha)
Das Gebet des Waldes (unbekannt) Einkehr (Ludwig Uhland)
Der Nachtwind hat in den Bäumen (Nikolaus Lenau) Waldlied (Gottfried Keller)
Ein grünes Blatt (Theodor Storm) Zu pflanzen einen grünen Baum (Eugen Roth)
Stimmen, die den andern schweigen (Lenau) Der verwundete Baum (C. F. Meyer)
Jetzt rede du! (C. F. Meyer) Der Lieblingsbaum ( C. F. Meyer)
Die Erlen (Novalis) Traumwald (Morgenstern)
Siehe, auch ich - lebe (Morgenstern9 Dort, in moosumrankten Klüften (Eichendorff)
Wär's dunkel, ich läg im Walde (Eichendorff) Wie schön, hier zu verträumen... (Eichendorff)
Der scheidende Sommer (Heinrich Heine) Mein täglicher Spaziergang (Frh. von Liliencron)
Am Waldessaume träumt die Föhre (Fontane) Blaugeblendet unter Fichten (W. von Hartlieb)
Ich sah den Wald sich färben (Geibel) Waldfrevel (Wilhelm Busch)
Hier im Wald mit dir zu liegen (Morgenstern) Als jüngst die Nacht... (Droste-Hülshoff)
Der Spaziergang (Friedrich Schiller) Wenn die Felder sich verdunkeln (Richard Dehmel)
Blick ins Licht (Richard Dehmel) Die Wälder schweigen (Kästner)
Ein Lied vom Reiffen (Matthias Claudius) Waldeinsamkeit (Heinrich Heine)
Bäume sind Heiligtümer (Hesse) Ich ging im Walde so vor mich hin (Goethe)
Über allen Gipfeln ist Ruh' (Goethe) Doktor Wald (Goethe)
Mein Wald mein Leben (E.Meier) Baumgedichte (in Vorbereitung)

Lyrikauswahl

Pflanz einen Baum,
Du kannst nicht ahnen
wer einst in seinem Schatten tanzt.
Bedenk, es haben deine Ahnen
eh' sie dich kannten, auch für dich gepflanzt.

Nur eine Stunde im grünen Wald
 
Nur eine Stunde von Menschen fern,
Nur eine einzige Stunde!
Statt der tönenden Worte des Waldes Schweigen,
Statt des wirbelnden Tanzes der Elfen Reigen,
Statt der leuchtenden Kerzen den Abendstern,
Nur eine Stunde von Menschen fern!
 
Nur eine Stunde im grünen Wald,
Nur eine einzige Stunde!
Auf dem schwellenden Rasen umhaucht von Düften,
Gekühlt von den reinen balsamischen Lüften,
Wo von ferne leise das Echo schallt,
Nur eine Stunde im grünen Wald!
 
Nur eine Stunde im grünen Wald,
Nur eine einzige Stunde!
Wo die Halme und Blumen sich flüsternd neigen,
Wo die Vögel sich wiegen auf schwankenden Zweigen,
Wo die Quelle rauscht aus dem Felsenspalt,
Nur eine Stunde im grünen Wald!

Auguste Kurs (1815-1892)

 

nach oben

 

Der Wald ist ein besonderes Wesen,
von unbeschränkter Güte und Zuneigung,
das keine Forderungen stellt
und großzügig die Erzeugnisse
seines Lebenswerks weitergibt;
allen Geschöpfen bietet er Schutz
und spendet Schatten selbst dem Holzfäller,
der ihn zerstört. 

Siddharta Gautama Buddha

 

nach oben

 

Das Gebet des Waldes

Mensch! Ich bin
die Wärme deines Heimes
in kalten Winternächten,
der schirmende Schatten,
wann des Sommers Sonne brennt.
Ich bin der Dachstuhl deines Hauses
das Brett deines Tisches.
Ich bin das Bett, in dem du schläfst.
Ich bin das Holz,
aus dem du deine Schiffe baust.
Ich bin der Stiel deiner Haue,
die Türe deiner Hütte.
Ich bin das Holz deiner Wiege
und deines Sarges.
Ich bin das Brot der Güte,
die Blume der Schönheit.
Erhöre mein Gebet:

zerstöre mich nicht!

Autor unbekannt

 

nach oben

 

Einkehr

Bei einem Wirte wundermild
Da war ich jüngst zu Gaste.
Ein goldner Apfel war sein Schild
An einem langen Aste.
Es war der gute Apfelbaum
Bei dem ich eingekehret
Mit süßer Kost und frischem Schaum
Hat er mich wohl genähret.

Es kamen in sein grünes Haus
Viel leichtbeschwingte Gäste
Sie sprangen frei und hielten Schmaus
Und sangen auf das Beste.

Ich fand ein Bett in süßer Ruh
Auf weichen, grünen Matten
Der Wirt er deckte selbst mich zu
Mit seinem kühlen Schatten.

Nun fragt ich nach der Schuldigkeit.
Da schüttelt er den Wipfel
Gesegnet sei er allezeit
von der Wurzel bis zum Gipfel.

Ludwig Uhland (1787-1847)

 

nach oben

 

Der Nachtwind hat in den Bäumen

Der Nachtwind hat in den Bäumen
Sein Rauschen eingestellt,
Die Vögel sitzen und träumen
Am Aste traut gesellt.

Die ferne schmächtige Quelle,
Weil alles andre ruht,
Läßt hörbar nun Welle auf Welle
Hinflüstern ihre Flut.

Und wenn die Nähe verklungen,
Dann kommen an die Reih
Die leisen Erinnerungen
Und weinen fern vorbei.

Daß alles vorübersterbe,
Ist alt und allbekannt;
Doch diese Wehmut, die herbe,
Hat niemand noch gebannt.

Nikolaus Lenau

 

nach oben

 

Waldlied

Arm in Arm und Kron' an Krone steht der Eichenwald verschlungen,
heut hat er bei guter Laune mir sein altes Lied gesungen.
Fern am Rande fing ein junges Bäumchen an sich sacht zu wiegen,
und dann ging es immer weiter an ein Sausen, an ein Biegen;
kam es her in mächt'gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen,
hoch sich durch die Wipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen.
Und nun sang und pfiff es graulich in den Kronen, in den Lüften,
und dazwischen knarrt' und dröhnt' es unten in den Wurzelgrüften.
Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine,
donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine!
Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen;
alles Laub war, weisslich schimmernd, nach Nordosten hin gestrichen.
Also streicht die alte Geige Pan der Alte laut und leise,
unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise.
In den sieben Tönen schweift er unerschöpflich auf und nieder,
in den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder.
Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken,
kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken.


Gottfried Keller

 

nach oben

 

Ein grünes Blatt

Ein Blatt aus sommerlichen Tagen, 
Ich nahm es so im Wandern mit, 
Auf dass es einst mir möge sagen, 
Wie laut die Nachtigall geschlagen, 
Wie grün der Wald, den ich durchschritt.

Theodor Storm

 

nach oben

 

Zu pflanzen einen schönen Baum,
braucht´s eine halbe Stunde kaum.
Zu wachsen, bis man ihn bewundert,
braucht er - bedenk es - ein Jahrhundert.

Eugen Roth

 

nach oben

 

 Stimmen, die den andern schweigen,
Jenseits ihrer Hörbarkeiten,
Hört Merlin vorübergleiten,
Alles rauscht im vollen Reigen.
Denn die Königin der Elfen
Oder eine kluge Norn
Hält, dem Sinne nachzuhelfen,
Ihm ans Ohr ein Zauberhorn.
Rieseln hört er, springend schäumen
Lebensfluten in den Bäumen.
Vögel schlummern auf den Ästen
Nach des Tages Liebesfesten,
Doch ihr Schlaf ist auch beglückt;
Lauschend hört Merlin entzückt
Unter ihrem Brustgefieder
Träumen ihre künftgen Lieder.
Klingend strömt des Mondes Licht
Auf die Eich und Hagerose,
Und im Kelch der feinsten Moose
Tönt das ewige Gedicht.

Nikolaus Lenau

 

nach oben

 

Der verwundete Baum

Sie haben mit dem Beile dich zerschnitten,
Die Frevler - hast du viel dabei gelitten?
Ich selber habe sorglich dich verbunden
Und traue: Junger Baum, du wirst gesunden!
Auch ich erlitt zu schier derselben Stunde
Von schärferm Messer eine tiefre Wunde.
Zu untersuchen komm ich deine täglich,
Und meine fühl ich brennen unerträglich.
Du saugest gierig ein die Kraft der Erde,
Mir ist, als ob auch ich durchrieselt werde!
Der frische Saft quillt aus zerschnittner Rinde
Heilsam. Mir ist, als ob auch ichs empfinde!
Indem ich deine sich erfrischen fühle,
Ist mir, als ob sich meine Wunde kühle!
Natur beginnt zu wirken und zu weben,
Ich traue: Beiden geht es nicht ans Leben!
Wie viele, so verwundet, welkten, starben!
Wir beide prahlen noch mit unsern Narben!

Conrad Ferdinand Meyer
(1825–1898)

 

nach oben

 

Jetzt rede du!

Du warest mir ein täglich Wanderziel,
Viellieber Wald, in dumpfen Jugendtagen,
Ich hatte dir geträumten Glücks so viel
Anzuvertraun, so wahren Schmerz zu klagen. 
Und wieder such ich dich, du dunkler Hort,
deines Wipfelmeers gewaltig Rauschen -
Jetzt rede du! Ich lasse dir das Wort!
Verstummt ist Klag und Jubel. Ich will lauschen.

Conrad Ferdinand Meyer (1825–1898)

 

nach oben

 

Der Lieblingsbaum

Den ich pflanzte, junger Baum,
Dessen Wuchs mich freute,
Zähl ich deine Lenze, kaum
Sind es zwanzig heute.

Oft im Geist ergötzt es mich,
Uber mir im Blauen,
Schlankes Astgebilde, dich
Mächtig auszubauen.

Lichtdurchwirkten Schatten nur
Legst du auf die Matten,
Eh du dunkel deckst die Flur,
Bin ich selbst ein Schatten.

Aber haschen soll mich nicht
Stygisches Gesinde,
Weichen werd ich aus dem Licht
Unter deiner Rinde.

Frische Säfte rieseln laut,
Rieseln durch die Stille.
Um mich, in mir webt und baut
Ew'ger Lebenswille.

Halb bewußt und halb im Traum
Über mir im Lichten
Werd ich, mein geliebter Baum,
Dich zu Ende dichten.

Conrad Ferdinand Meyer (1825–1898)

 

nach oben

 

Die Erlen

Wo hier aus den felsichten Grüften
Das silberne Bächelchen rinnt,
Umflattert von scherzenden Lüften
Des Maies die Reize gewinnt,

Um welche mein Mädchen es liebt
Das Mädchen so rosicht und froh
Und oft mir ihr Herzchen hier gibt,
Wenn städtisches Wimmeln sie floh;

Da wachsen auch Erlen, sie schatten
Uns beide in seliger Ruh,
Wenn wir von der Hitze ermatten
Und sehen uns Fröhlichen zu.

Aus ihren belaubeten Zweigen
Ertönet der Vögel Gesang
Wir sehen die Vögelchen steigen
Und flattern am Bache entlang.

O Erlen, o wachset und blühet
Mit unserer Liebe doch nur
Ich wette, in kurzer Zeit siehet
Man euch als die Höchsten der Flur.

Und kommet ein anderes Pärchen,
Das herzlich sich liebet wie wir
Ich und mein goldlockiges Klärchen,
So schatte ihm Ruhe auch hier.

Novalis

 

nach oben

 

Traumwald

Des Vogels Aug verschleiert sich;
Er sinkt in Schlaf auf seinem Baum.
Der Wald verwandelt sich in Traum
Und wird so tief und feierlich.


Der Mond, der stille, steigt empor:
Die kleine Kehle zwitschert matt.
Im ganzen Walde schwingt kein Blatt.
Fern läutet, fern, der Sterne Chor.


Christian Morgenstern

 

nach oben

 

Siehe, auch ich - lebe

Also ihr lebt noch, alle, alle, ihr,
am Bach ihr Weiden und am Hang ihr Birken,
und fangt von neuem an, euch auszuwirken,
und wart so lang nur Schlummernde, gleich - mir.

Siehe, du Blume hier, du Vogel dort,
sieh, wie auch ich von neuem mich erhebe...
Voll innern Jubels treib ich Wort auf Wort...
Siehe, auch ich, ich schien nur tot. Ich lebe!

Christian Morgenstern

 

nach oben

 

Dort

Dort in moosumrankten Klüften,
Wo der Kühlung Weste wehn,
Und den Kranz um Schläf und Hüften
Elfen sich im Tanz ergehn.
Dort harr ich des lieben Mädchens,
Wenn durchs Grau der Morgen bricht
Und das grüne Rosenpfädchen
Sanft bestreut mit mattem Licht.
Dort harr ich, wenn sich die Sonne
In des Sees Fluten taucht,
Und der Abend neue Wonne
In des Müden Seele haucht.
Denn nur wenig Jahr durchglühet
Uns der Jugend Götterhauch
Und, ach - nur zu früh verblühet
Uns des Lebens Blütenstrauch.

Joseph von Eichendorff

 

nach oben

 

Wär's dunkel, ich läg' im Walde,
Im Walde rauscht's so sacht,
Mit ihrem Sternenmantel
Bedeckt mich da die Nacht;

Da kommen die Bächlein gegangen,
Ob ich schon schlafen tu?
Ich schlaf nicht, ich hör noch lang
Den Nachtigallen zu.

Wenn die Wipfel über mir schwanken,
Da klingt die ganze Nacht.
Das sind im Herzen die Gedanken,
Die singen, wenn niemand wacht.

Joseph von Eichendorff

 

nach oben

 

Wie schön, hier zu verträumen die Nacht im stillen Wald
Wenn in den dunklen Bäumen das alte Märchen hallt.
Die Berg' im Mondesschimmer wie in Gedanken stehn,
Und durch verworrne Trümmer die Quellen klagend gehn.

Denn müd ging auf den Matten die Schönheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kühlen Schatten die Nacht das Liebchen zu.
Das ist das irre Klagen in stiller Waldespracht,
Die Nachtigallen schlagen von ihr die ganze Nacht.

Die Stern gehn auf und nieder - wann kommst du, Morgenwind,
Und hebst die Schatten wieder von dem verträumten Kind?
Schon rührt sich's in den Bäumen, die Lerche weckt sie bald -
So will ich treu verträumen die Nacht im stillen Wald.

Joseph von Eichendorff

nach oben

 

Der scheidende Sommer
 
Das gelbe Laub erzittert,
Es fallen die Blätter herab;
Ach, alles, was hold und lieblich,
Verwelkt und sinkt ins Grab.
 
Die Gipfel des Waldes umflimmert
Ein schmerzlicher Sonnenschein;
Das mögen die letzten Küsse
Des scheidenden Sommers sein.
 
Mir ist, als müsst ich weinen
Aus tiefstem Herzensgrund;
Dies Bild erinnert mich wieder
An unsre Abschiedsstund'.
 
Ich musste von dir scheiden,
Und wusste, du stürbest bald;
Ich war der scheidende Sommer,
Du warst der kranke Wald.
 
Heinrich Heine

 

nach oben

 

Mein täglicher Spaziergang

Nur ein paar Birken, Einsamkeit und Leere,
Ein Sumpf, geheimnisvoll, ein Fleckchen Heide,
Der Kiebitz gibt mir im April die Ehre,
Im Winter Raben, Rauch und Reifgeschmeide,
Und niemals Menschen, keine Grande Misère,
Nichts, nichts von unserm ewigen Seelenleide.
Ich bin allein. Was einzig ich begehre?
Grast ihr für euch, und mir laßt meine Weide.

Detlev Freiherr von Liliencron (1844 - 1909)

 

nach oben

 

Am Waldessaume träumt die Föhre,
Am Himmel weiße Wölkchen nur,
Es ist so still, daß ich sie höre,
Die tiefe Stille der Natur.

Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,
Und doch es klingt als ström' ein Regen
Leis tönend auf das Blätterdach.

Theodor Fontane

 

nach oben

 

Blaugeblendet unter Fichten,
Unter Tannen blieb ich stehn,
Konnte Flammen in dem dichten
Laub der Zwerggestrüppe sehn.
Alle Stämme schienen gläsern,
Ragten hoch in kühlem Glanz;
Sterne blitzten in den Gräsern,
Farbig wie ein Blumenkranz.


War das noch die alte Sonne,
Die da lag auf Fels und Stein?
Selig stieg ich in die Wonne:
Überall der blaue Schein!
Ruhig brannten die Gefühle
Mit dem Staunen des Gesichts:
Überall die keusche Kühle
Eines ungeheuren Lichts!


Wladimir von Hartlieb

 

nach oben

 

Ich sah den Wald sich färben

Ich sah den Wald sich färben,
Die Luft war grau und stumm;
Mir war betrübt zum Sterben,
Und wußt' es kaum, warum.

Durchs Feld vom Herbstgestäude
Hertrieb das dürre Laub;
Da dacht' ich: deine Freude
Ward so des Windes Raub.

Dein Lenz, der blütenvolle,
Dein reicher Sommer schwand;
An die gefrorne Scholle
Bist du nun festgebannt.

Da plötzlich floß ein klares
Getön in Lüften hoch:
Ein Wandervogel war es,
Der nach dem Süden zog.

Ach, wie der Schlag der Schwingen,
Das Lied ins Ohr mir kam,
Fühlt' ich's wie Trost mir dringen
Zum Herzen wundersam.

Es mahnt' aus heller Kehle
Mich ja der flücht'ge Gast:
Vergiß, o Menschenseele,
Nicht, daß du Flügel hast.

Emanuel Geibel

 

nach oben

 

Waldfrevel

Ein hübsches Pärchen ging einmal
Tief in des Waldes Gründe.
Sie pflückte Beeren ohne Zahl,
Er schnitt was in die Rinde.
 
Der pflichtgetreue Förster sieht's.
Was sind das für Geschichten?
Er zieht sein Buch, er nimmt Notiz
Und wird den Fall berichten
.

Wilhelm Busch

 

nach oben

 

Hier im Wald mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet,
in das Flüstern, in das Rauschen
leise liebe Worte mischend,
öfter aber noch dem Schweigen
lange Küsse zugesellend,
unerschöpflich - unersättlich,
hingegebne, hingenommne,
ineinander aufgelöste,
zeitvergeßne, weltvergeßne.
Hier im Wald mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet...

Christian Morgenstern (1871-1914)

 

nach oben

 

Als jüngst die Nacht dem sonnenmüden Land
Der Dämmerung leise Boten hat gesandt,
Da lag ich einsam noch in Waldes Moose.

Die dunklen Zweige nickten so vertraut,
An meiner Wange flüsterte das Kraut,
Unsichtbar duftete die Heiderose.

Ringsum so still, daß ich vernahm im Laub
Der Raupe Nagen, und wie grüner Staub
Mich leise wirbelnd Blätterflöckchen trafen.

Ich lag und dachte, ach, so manchem nach,
Ich hörte meines eignen Herzens Schlag,
Fast war es mir, als sei ich schon entschlafen.

Annette von Droste-Hülshoff

 

nach oben

 

"Der Spaziergang"

Doch jetzt brausts aus dem nahen Gebüsch,
Tief neigen die Erlenkronen sich,
Und im Wind wogt das versilberte Gras.
Mich umfängt ambrosische Nacht: in duftende Kühlung
Nimmt ein prächtiges Dach schattender Buchen mich ein,
In des Waldes Geheimnis entflieht mir auf einmal die Landschaft,
Und ein schlängelnder Pfad leitet mich steigend empor.
Nur verstohlen durchdringt der Zweige laubigtes Gitter
Sparsames Licht, und es blickt lachend das Blaue herein.
Aber plötzlich zerreißt der Flor. Der geöffnete Wald gibt
Überraschend des Tags blendendem Glanz mich zurück.

 Friedrich Schiller, Auszug aus "Der Spaziergang", 1795

 

nach oben

 

Wenn die Felder sich verdunkeln

Wenn die Felder sich verdunkeln,
Fühl ich, wird mein Auge heller;
Schon versucht ein Stern zu funkeln,
Und die Grillen wispern schneller.

Jeder Laut wird bilderreicher,
Das Gewohnte sonderbarer,
Hinterm Wald der Himmel bleicher,
Jeder Wipfel hebt sich klarer.

Und du merkst es nicht im Schreiten,
Wie das Licht verhundertfältigt
Sich entringt den Dunkelheiten.
Plötzlich stehst du überwältigt.

Richard Dehmel (1863-1920)

 

nach oben

 

Blick ins Licht

Still von Baum zu Baum schaukeln
meinen Kahn die Uferwellen;
märchenblütenblau umgaukeln
meine Fahrt die Schilflibellen,
Schatten küssen den Boden der Flut.

Durch die dunkle Wölbung der Erlen
- welch ein funkelndes Verschwenden -
streut die Sonne mit goldenen Händen
silberne Perlen
in die smaragdenen Wirbel der Flut.

Durch die Flut der Strahlen schweben
bang nach oben meine Träume,
wo die Bäume
ihre krausen Häupter heben
in des Himmels ruhige Flut.

Und in leichtem, lichtem Kreise
weht ein Blatt zu meinen Füßen
weiße Taube seh ich grüßen;
fernher grüßen
meiner Seele dunkle Flut.

Richard Dehmel (1863-1920)

 

nach oben

 

Die Wälder schweigen

Die Jahreszeiten wandern durch die Wälder.
Man sieht es nicht. Man liest es nur im Blatt.
Die Jahreszeiten strolchen durch die Felder.
Man zählt die Tage. Und man zählt die Gelder.
Man sehnt sich fort aus dem Geschrei der Stadt.

Das Dächermeer schlägt ziegelrote Wellen.
Die Luft ist dick und wie aus grauem Tuch.
Man träumt von Äckern und von Pferdeställen.
Man träumt von grünen Teichen und Forellen.
Und möchte in die Stille zu Besuch.

Man flieht aus den Büros und den Fabriken.
Wohin, ist gleich! Die Erde ist ja rund!
Dort, wo die Gräser wie Bekannte nicken
und wo Spinnen seidne Strümpfe stricken,
wird man gesund.

Die Seele wird vom Pflastertreten krumm.
Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden
und tauscht bei ihnen seine Seele um.
Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm.
Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.

Erich Kästner

 

nach oben